Was bedeutet die Corona-Pandemie für Biodanza und die Tänze des Lebens?
Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an das Motto, mit dem wir in dieses Jahr hinein getanzt sind?! Das Bild war auf meiner Einladung zum Jahreswechsel 2019/2020… Das Thema: „Die Magie der Berührung“.
Welche Wichtigkeit dieses Thema nur wenige Wochen nach dem Beginn dieses Jahres bekommen würde, war zu der Zeit noch niemandem bewusst. Auch mir wurde es erst klar, als ich nach einem Bild für diesen Beitrag gesucht habe.
„Erstaunlich“, denke ich gerade… „schon zu Beginn des Jahres war Berührung unser Thema“. Das Bild zeigt ja deutlich, dass es etwas magisches gibt, das auch bei einer sehr zarten Berührung stattfindet oder stattfinden kann… – das war meine Idee zu dem Bild, das ich selbst in einigen Arbeitsstunden zusammengebaut habe.
Und nun sind wir mittendrin im der Auseinandersetzung mit genau diesen Dingen: Kontakt, Berührung und Abstand.
Gelegentlich höre ich von Menschen, dass sie sich nicht vorstellen können, wie man Tanzangebote auf der Basis von Biodanza momentan durchführen kann – geht es doch hier sehr viel um Kontakt und Nähe. Einige Kollegen weigern sich, ihre Kurstätigkeit wieder aufzunehmen, manche TeilnehmerInnen verzichten lieber ganz, als sich auf die -leider notwendigen – Veränderungen einzulassen und finden, dass Abstandsgebote der Biodanza-Idee grundlegend widersprechen. Andere wünschen sich sehnsüchtig eine Rückkehr zur „Normalität“, so wie wir sie gekannt haben und sie hoffen, dass Corona wie von Zauberhand wieder verschwindet… Schön wäre es. Aber realistisch betrachtet, sieht es eher so aus, als müssten wir unsere alltägliche Realität neu denken, Veränderungen akzeptieren und in vielen Bereichen unser Verhalten ändern.
Haben wir nicht in den Tänzen auch etwas von „Schöpferkraft“, Kreativität und Flow gehört, es sogar erlebt? Für die „Biodanza-Erfahrenen“: Sind nicht Shiva, Vishnu und Brahma Tänze von Biodanza, die genau dies beinhalten???
Biodanza und die Tänze des Lebens sind kein abgehobenes lebensfernes Konzept. Zu Tanzen, Flexibiliät und Beweglichkeit einzuladen und Veränderungen zumindest mit Offenheit zu begrüßen, sind aus meiner Sicht Grundlagen unserer Arbeit.
Dass Kontakt und Berührung, Zärtlichkeit und Affektivität für Menschen eine essentielle Bedeutung haben, steht für mich außer Frage. Ohne körperlichen Kontakt fehlt eine wichtige Komponente im menschlichen Miteinander. Und sicherlich auch eine wichtige Grundlage für unser seelisches, körperliches und geistiges Gleichgewicht. Studien haben gezeigt, dass Berührung und Zärtlichkeit (über-) lebensnotwendig für Menschen sind. Gruppen von Menschen, in denen viel körperliche Berührung praktiziert wird, leben meist friedvoller und gesünder miteinander.
Nun ist jedoch etwas eingetreten, das genau dies zunächst verhindert. Kontakte mit Fremden finden garnicht mehr statt, manch eine(r) fühlt sich durch zu wenig Abstand sogar bedroht. Selbst Freundinnen, Freunden und/oder Familenmitgliedern begegnen einige Menschen mit Vorsicht und Zurückhaltung. Social distancing ist das Motto der Zeit. Ängste vor Kontakt werden vielleicht mehr oder weniger wahrgenommen, aber eher selten kommunziert. Die Medienberichterstattung macht Geschäfte mit der Angst, die Gesellschaft spaltet sich durch unterschiedliche Betrachtungsweisen grob gesehen in zwei Pole: Diejenigen, die den -teilweise kruden- Verschwörungsmärchen folgen und die „Schlafschafe“, die unhinterfragt jeder öffenlichen Berichterstattung glauben und seien die Zahlen noch so offensichtlich an den Haaren herbei gezogen. Frage: Sind das nicht einfach zwei Seiten der gleichen Medaille? Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass wir alle im selben Boot sitzen, auf dem gleichen Planeten, mit gemeinsamen Problemen und Herausforderungen, die ausnahmslos JEDE/N betreffen, hat auch das Grundprinzip des Lebens aus meiner Sicht nicht annähernd verstanden.
„Qui bono?“ lautet oftmals die Frage, mit der die abenteuerlichsten Theorien entworfen werden, „Wem dient das?“ Es gibt jedoch niemanden, der letztendlich davon profitiert, wenn das menschliche Leben ausstirbt. Kein Bill Gates, kein(e) Politiker(in) lebt ewig. Niemand kann sich vor dem Lauf des Lebens davonstehlen, niemand den Tod bestechen – das wissen wir doch! Dass man Geld nicht essen kann, hat auch jeder schon mal gehört, oder?
Was also aus meiner Sicht die große Gefahr darstellt, ist nicht, dass eine „Elite“ uns unterwerfen und manipulieren will, sondern dass wir Menschen unsere menschlichen Werte vergessen: Die Solidarität mit anderen, den Respekt vor dem Leben, den Glauben an eine Zukunft und der persönliche Einsatz für all die schönen Dinge, die jeden Moment des Lebens zu etwas besonderem machen. Das geht unter in den Meldungen der Medien; hinter den Masken, die wir tragen (müssen/sollen/wollen); in der gesellschaftlichen Spaltung, in der Idee von „Gut und Böse“ und in dem Bestreben, Feindbilder zu suchen und/oder aufzubauen.
Neu ist das wohl nicht. Dies ist weder die erste Pandemie, noch wird es die letzte sein. Frage ist: Wir, die wir JETZT leben, WAS können wir tun? WIE gehen wir konstruktiv mit dem um, was uns das Leben anbietet? Tanzen wir weiter? Und suchen wir danach, was uns auch in diesen Zeiten Freude bereitet, uns nährt und verbindet? Oder beharren wir darauf, dass endlich wieder „Normalität“ einkehren soll und machen weiter wie bisher? Vergessen wir doch einfach Massentierhaltung, Klimawandel, Rassismus, Kriege, die Zerstörung der Natur und fahren weiter ohne Tempolimit auf den Autobahnen, machen Kurztrips mit dem Flieger, kaufen uns ein größeres Auto und klicken Berichte über Flüchtlinge und hungernde Kinder einfach weg…
Ignoranz ist das größte Virus unserer Zeit. Es wird Zeit, sich auf die Werte zu besinnen, die wir als Menschen haben und unser Verhalten im Alltag daran anzupassen. Nicht der Angst als Impulsgeber zu folgen, sondern der Liebe, die unser Leben erst lebenswert macht. .
Allen Einschränkungen zum Trotz – und auch MIT den Einschränkungen: Wir können weiter unser Leben tanzen. Uns selbst und der Welt beweisen, dass unsere Tänze die menschlichen Werte repäsentieren. Dass all diese tollen Dinge, die wir in den Einleitungen zu unseren Tänzen erzählen, unsere persönliche Realität bedeuten und nicht nur leere Worte sind. Dass wir die Menschen respektieren und akzeptieren wie sie sind – die Mutigen und Ängstlichen, die Schlafschafe und Verschwörungsmärchenerzähler, und uns auf das besinnen, worum es geht: Lebenstanz mit Höhen und Tiefen – mit Liebe als tiefste Motivation.
Gerade leben wir in einer Phase mit weniger Berührungen. Gut. Füllen wir die, die wir haben (können) mit der größtmöglichen Intensität, Offenheit und Zärtlichkeit, die uns zur Verfügung steht.
Spüren wir Nähe denn nur, wenn wir in einer innigen Umamrung mit einem anderen Menschen sind? Glauben wir, dass körperliche Berührung und Streicheln das Einzige ist, was uns nährt? Diese herausfordernden Zeiten haben für mich auch ganz neue spannende und besondere Erfahrungen mitgebracht: Das „Abstand.halten“ sorgt für eine neue Aufmerksamkeit. Signale werden deutlicher wahrgenommen, die Aufmerksamkeit wächst, Respekt tritt sehr oft an die Stelle der Bedürftigkeit, die ich auch früher öfter in den Gruppen bemerkt habe.
Was nicht bedeutet, dass der Wunsch nach Berührung, die Lust an körperlichen Genüssen, der Hunger nach Kontakt auf der Strecke bleiben muss. Nur eben: Noch viel besser im Feedback, achtsamer, intensiver – vielleicht lehrt uns diese Pandemie etwas über den Wert der wirklichen Begegnung. Lassen wir die Augen wirklich die Fenster zur Seele sein und lernen wir, dass eine Begegnung, die das Herz berührt nicht immer eine körperliche Berührung sein muss.